Von Außen mag es so scheinen, als ob die Bewegung in Iran langsam stiller wird. Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen: nur weil nicht mehr jeden Tag Massenproteste stattfinden, heißt das noch lange nicht, dass es vorbei ist. Im Gegenteil, die Menschen haben immer mehr Bewusstsein dafür, dass es andere, organisierte Formen des Protestes braucht, um mit weniger Opfern das gleiche Ziel zu erreichen: den Sturz des Regimes und ein Leben in Freiheit.
Es haben sich neue Aktionsformen entwickelt, die es so in den letzten Protestwellen 2017 und 2019 nicht gegeben hat. Revolutionäre Performances, genauso wie das Hinterlassen von politischen Botschaften an Hauswänden, in Bussen oder Klassenzimmern sind wichtige Ausdrucksmittel des alltäglichen Protestes geworden. Es sind vor allem Frauen, Studierende und die Jugend die jede Sekunde ihres Lebens nutzen um sich gegen das Regime aufzulehnen.
Die kurdische Tradition, den 40. Todestag von Gefallenen als kämpferischen Moment mit revolutionären Reden zu nutzen, gewinnt auch über Kurdistan hinaus immer mehr an Bedeutung. So versammelten sich in den letzten Tagen nicht nur auf zahlreichen kurdischen Friedhöfen Menschen, um den Ermordeten von Mitte November zu gedenken, auch in Isfahan im Zentrum Irans gab es einen kämpferischen Protestzug in Gedenken an Ali Abbasi.
Auch haben die Menschen aus vergangenen Protestwellen gelernt, wie wichtig es ist die Namen ihrer verhafteten und gefolterten Verwandten und Genoss*innen zu veröffentlichen. Die große Aufmerksamkeit verschafft ihnen mehr Sicherheit und ermöglicht gegenseitige Hilfe. Besonders in Baluchistan, wo jahrzehntelang Gefangene anonym ermordet werden konnten ohne das jemals jemand ihren Namen gehört hätte, macht diese Entwicklung einen überlebenswichtigen Unterschied.
Vor allem aber befindet sich die Bewegung in einer Phase der Organisierung. Täglich entstehen neue lokale Komitees und Organisationen, die mit ihren Analysen und Erklärungen immer mehr zum Rückgrat der Revolution werden und Perspektiven für die klassenlose Gesellschaft ausarbeiten. Besonders hervorzuheben ist hier neben den Frauen die Rolle der Jugend, der Studierenden und der Lehrer*innengewerkschaften.
Der revolutionäre Geist hat sich zu tief in den Köpfen und Herzen festgesetzt, um so schnell wieder zu erlöschen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich die organisierten Massen die Straßen zurück nehmen.
Gleichzeitig befindet sich Iran in einer tiefgreifenden ökonomischen Krise. Die Preise für Nahrungsmittel, Wohnraum und Dinge des alltäglichen Bedarfes haben sich in den letzten Wochen verdoppelt bis verdreifacht. Der Toman (lokale Währung) sinkt im Vergleich zum Dollar so schnell im Wert, dass es Tage gibt an denen die Wechsellokale schließen müssen weil sie dem stündlichen Wertverlust nicht hinterherkommen. Diese Krise hat ihren Ursprung nicht nur in der Wirtschaft, den ständigen Sanktionen und der Korruption, sondern ist auf die islamische Politik an sich zurückzuführen – das heißt, ein einfacher Regierungswechsel wird daran nichts ändern. Sowohl unter den Menschen als auch in Regierungskreisen stellt man sich darauf ein, dass sich die ökonomische Situation in den nächsten Jahren kaum verbessern wird.
Wie immer, sind es natürlich Arbeiter*innen und Arme die am schlimmsten von den Folgen der Krise betroffen sind. Das, sowie die zunehmende Organisierung an Arbeitsplätzen lässt auf eine gut organisierte Streikbewegung hoffen, die in der Protestbewegung die Klassenfrage noch mehr in den Vordergrund rückt und mit der Frauen-, der Jugend- und der Frage der Minderheiten vereint.
Hört weiter zu, was die Menschen vor Ort sagen, informiert euch über lokale Komitees und unterstützt sie wie ihr könnt. Vergesst nicht die Gefangenen! Auch wenn die Hinrichtungen in den letzten Tagen abgenommen haben, ist die Liste der zum Tode verurteilten immer noch sehr lang.
Führt eure Kämpfe dort weiter, wo ihr lebt und intensiviert sie, das ist die beste Unterstützung für jede Revolution.
Hoch lebe die internationale Solidarität!
Lang lebe die feminstische Revolution!
Jin Jian Azadi
Komitee Mahabad International, 30.12.2022